In einem Rutsch über die Nordsee

Die Nordsee liegt hinter uns. Auf dieser Überfahrt war alles dabei, was das Seglerherz begehrt: Sonne und Regen, Wind und Flaute, Welle und Ruhe, alles in ähnlichen Teilen verpackt und uns nach und nach zugeführt in knapp zweieinhalb Tagen und 400 Seemeilen zwischen Kristiansand und Scapa Flow.

Am Dienstagmorgen, 20. Juli liefen wir nach erfolgreicher Großwildjagd im örtlichen Supermarkt verproviantiert und höchst motiviert aus. Das Päckchen mit unseren holländischen Nebenliegern hatten wir schon abends aufgelöst, so dass diese selig weiterschlafen konnten. Wir dagegen nutzten die Gunst der frühen Morgenstunden und machten uns bei schwachem südlichen Wind an die Passage Südnorwegens.

Segeltechnisch ließen wir nichts unversucht, der relativ hohen Welle bei zu schwachem Wind beizukommen. Nach wackligen Versuchen mit Groß und Genua II probieren wir den Blister aus, der sich allerdings nur für eineinhalb Stunden hält, bevor auch ihn das Schicksal des Wackelpeters ereilt. Die Südwestspitze Norwegens passieren wir daher unter Motor, ehe wir es abends mit Groß und ausgebaumter Genua versuchen. Der Abendfrieden präsentiert sich mit langsam uaflockerndem Himmel, erstem Blau in größeren Abschnitten, durch die die Abendsonne auf die wenig bewegte Nordsee fällt. Der Wind ist schwach, teils mäßig, aber wir kommen auf raumem Kurs mit Vollzeug gut voran.

In der Nacht will uns sogar das Anglerglück der dauerhaft ausgebrachten Heckangel hold sein. Doch der anbeißende Fisch entpuppt sich als hungrige Möwe, deren Fuß wir per Not-OP vom verlockend blinkenden Wobbler trennen können. Die Möwe hat genug von uns und macht sich anschließend verständlicherweise auf den genau entgegengesetzten Weg. Draußen ist es auch nach elf Uhr nur leicht schummerig – nordischer Sommer!

Der Mittwochmorgen begrüßt uns nach einer mondlosen Nacht und einem Vortagesetmal von knapp 170 Meilen mit grauen Regenwolken. Das Barometer fällt, der Wind dreht über Ost auf Nordost und wir peilen eher Edinburgh als die Orkneys an. Der kräftiger werdende Wind treibt uns all das entgegen, was die Regenwolken nicht mehr bei sich behalten wollen – und das ist eine Menge. Bei bis zu 11 Knoten Fahrt und nahender Gewitterfront reffen wir Groß und Genua und fahren dennoch weiter mit 9 kn. Gegen Nachmittag reißt der Himmel auf und endlich schaut die Sonne mal wieder vorbei. Eine Wohltat nach dem nassgrauen Morgen!

In der Ansteuerung an die britisch-norwegische Bohrinsellandschaft, die sich inmitten der Nordsee aus dem Nichts erhebt, bekommen wir Besuch von einem Festrumpfboot, das uns per Funk freundlich hinweist, die Bohrinsel und den davor liegenden Tanker zu verschonen und Abstand zu halten. Wir zeigen uns gnädig und weichen nach Norden aus. Nach Umfahren weiterer Tanker und Bohrinseln fahren wir mit ausgebaumter Genua gen Westen. Es wird sonnig und warm und bei raumem Kurs wird tatsächlich der Sommer eingeläutet. Uwe zaubert Hühnchen zum Abendessen und wir lassen es uns alle schmecken.

Das Essen ist gerade von der Back verschwunden, da zieht der Himmel zu und Wind kommt auf. Die Delphine, die uns eben noch begleitet hatten, ahnen, was da kommt und verlassen uns, nachdem sie endlos und fröhlich mit uns gespielt haben. Unter dem Bug durchtauchend, neben uns hergleitend, durch die Wellen springend und sich balgend. Der Nordwind treibt eine anständige Welle vor sich her und wir machen teils über 10 kn Fahrt.

In der Nacht wird es ziemlich ungemütlich: Die Wellen besuchen uns des öfteren im Cockpit, auch wenn die Henryke so hoch gebaut ist, dass es vergleichsweise selten ist. Ein gutes Gefühl, doch da die Welle querab kommt, lässt sich Nässe von der Seite genauso wenig vermeiden wie die aus den geöffneten Himmelsschleusen von oben.

Der Donnerstagmorgen entlohnt uns für die harte Arbeit der Nachtwache mit 4 Windstärken, beruhigter See und strahlendem Azur. Die letzten 80 Meilen bis zur schottischen Küste können wir bei 300 Grad wieder anliegen und laufen direkt auf den Pentland Firth zu. Bei guter Sicht erblicken wir die ersten Inseln der Orkneys und das schottische Festland.

er Pentland Firth öffnet sich vor uns, doch bei 4-5 Beaufort, Sonne und ohne See bei mitgehendem Strom ist diese tückische Durchfahrt heute von der harmlosen Sorte. Die Skerries, vorgelagerte Felsen, von deren Heimtücke die in der Karte verzeichneten Wracks zeugen, sind nur teilweise von Races und Gischt in weiß getaucht. Wir sehen die ersten beiden Segler, seit wir die norwegische Küste verlassen haben. Wer Dänemark im Juli kennt, kommt sich hier wie in einer anderen Welt vor.

Der Eingang zu Scapa Flow, dem in die deutsch-britische Marinegeschichte mehrfach eingegangenen Refugium, einer von mehreren der Südinseln der Orkneys eingeschlossenen Bucht, liegt im Süden. Der Strom hilft uns hinein und wir rauschen über die ersten Eddies und Tidal Ribs nach Nordwesten an Swona und South Ronaldsay vorbei. Die erste malerische Bucht an der Westküste von S. Ronaldsay ist Widewall Bay – unsere Wahl für die Nacht.

Abendfrieden und eine unglaubliche Ruhe breitet sich aus, nachdem der Anker gefallen und dasletzte Motortuckern verklungen sind. In gut 56 Stunden sind wir über 400 Meilen über die Nordsee gerauscht – siebeneinhalb Knoten im Schnitt. Die Henryke mag ein Tourensegler sein, aber sie mag es nicht gerne langsam!

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